Führungskultur: Was macht gute Führung heute aus?
Heute wissen wir: Die Führungskultur im Unternehmen ist ein wesentlicher Faktor für den Erfolg oder Misserfolg eines Unternehmens. Oft ist aber nicht klar: Was konkret macht denn gute Führung aus? Ein Rückblick in die Geschichte lässt uns erkennen auf was es heute wirklich ankommt und welche Faktoren einen guten Führungsstil ausmachen.
Wandel der Führungsstile
Unsere Arbeitswelt ist sich am verändern. Das hören und lesen wir in den letzten Jahren verstärkt. Aber sind wir mal ehrlich: Das war irgendwie ja schon immer so. Und immer musste sich auch die Führungskultur daran anpassen – oder anders formuliert: Die Unternehmen, die ihre Führungskultur nicht angepasst haben, waren irgendwann nicht mehr so erfolgreich oder sind sogar ganz vom Markt verschwunden. Andere Unternehmen mit einer moderneren Führungskultur haben dann ihren Platz eingenommen.
Die Führungsstile haben sich in den letzten Jahrzehnten grundlegend verändert. Das liegt zum einen natürlich an der technologischen Entwicklung, aber auch an dem Wertewandel in unserer Gesellschaft. Nachfolgend einmal – in zugegebener weise etwas überspitzter Darstellung – die Entwicklung der letzten 100 Jahre:
Führungskultur Mitte des 20. Jahrhunderts
Früher wurden viele relativ einfache Tätigkeiten von den Mitarbeitern ausgeführt, z.B. in Fabriken, aber auch in Schreibbüros etc. Die Kontrolle dieser Tätigkeiten war dann oft auch die wesentliche Aufgabe einer Führungskraft (die dann üblicherweise „Vorgesetzter“ genannt wurde). Über Motivation der Mitarbeiter hat zu diesem Zeitpunkt kaum jemand geredet. Es reichte aus, ein angemessenes Gehalt zu bezahlen, und auf der anderen Seite den Druck aufzubauen, dass man bei Schlechtleistung seinen Job verlieren konnte.
Führungskultur Ende des 20. Jahrhunderts
Gegen Ende des vorigen Jahrhunderts fand ein großer Wandel durch die Einführung von Arbeitsplatzcomputern statt. Aber auch in den Industrieunternehmen wurden mehr und mehr automatisierte Verfahren eingesetzt. Viele Mitarbeiter mussten komplexere Tätigkeiten ausführen und durch die Steigerung der Produktivität stieg auch die Menge der zu bewältigenden Aufgaben immens. Eine Kontrolle aller Ergebnisse durch die Führungskraft war überhaupt nicht mehr möglich. Man kam also gar nicht mehr umhin, den Mitarbeitern mehr Verantwortung zu übertragen. Um sicherzustellen, dass die Ergebnisse erreicht wurden, etablierte man in vielen Unternehmen einen Führungsstil, der als Transaktionale Führung bekannt geworden ist: Dies bedeutet im Wesentlichen, dem Mitarbeiter Ziele zu geben und die Zielerreichung entweder mit materiellen und immateriellen Vorteilen zu belohnen oder unerwünschtes Verhalten durch Kritik und Feedback zu sanktionieren.
Führungskultur Anfang des 21. Jahrhunderts
Seit Anfang diesen Jahrtausends hat sich die Arbeitswelt noch einmal radikal verändert. Mit dem Internet sind praktisch alle Informationen jederzeit verfügbar und hochkomplexe Softwarelösungen erlauben immer stärker ein prozessorientiertes Arbeiten. Gleichzeitig ist die Arbeitsteilung noch größer geworden – es gibt kaum noch jemand, der ein Themengebiet komplett beherrscht. Und dies trifft natürlich auch auf die Führungskräfte zu. Die Verantwortung von Mitarbeitern ist dadurch noch einmal gestiegen und man hat erkannt, wie wichtig es ist, für eine hohe Mitarbeitermotivation zu sorgen. Die Erfahrungen mit dem Führungsmodel der Zielvereinbarung und -belohnung zeigten aber auch, dass ein ausschließlich monetärer Anreiz dauerhaft nicht ausreichend ist. Da gleichzeitig auch das Qualifikationslevel der Mitarbeiter gestiegen ist, erkannte man, dass andere Dinge notwendig sind, um die Mitarbeiter zu motivieren. In Ergänzung zu der transaktionalen Führung wurden in einigen Unternehmen sukzessive Elemente der transformationalen Führung eingeführt. Dies bedeutet für die Führungskräfte, bewusst als Vorbild zu agieren und sich mehr und mehr als Coach der Mitarbeiter zu sehen, um diese in ihrer Entwicklung zu unterstützen. Gemeinsame kommunizierte Visionen und Wege zur Zielerreichung sollen eine intrinsische Motivation bei den Mitarbeitern erzeugen. Zum heutigen Zeitpunkt gibt es nur wenige Unternehmen, die dies konsequent umgesetzt haben.
Führungskultur für die Zukunft
Wer sich versucht zur Führungskultur der Zukunft schlau zu machen, der stößt auf viele Schlagworte. Er lernt z.B. dass wir immer mehr in einer VUKA-Welt leben (VUKA = Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität), dass es eine digitale Führung braucht und dass diese natürlich agil sein soll („Agile Führung beinhaltet alle Maßnahmen, die Entscheidungen und Verhalten in einem Verantwortungsbereich schnell, flexibel und gut angepasst machen.“ – oft wird dies z.B. mit selbstorganisierten Teams in Verbindung gebracht). Und es ist sicherlich gut, dass es neue Ansätze für die Herausforderungen der Zukunft gibt. Ob allerdings eine agile Führung zum heutigen Zeitpunkt für alle Unternehmen das richtige Konzept ist, darf bezweifelt werden. Dies beweisen auch viele gescheiterte Projekte, in denen Firmen versucht haben, agile Strukturen zu implementieren, ohne die Voraussetzungen dafür ausreichend zu berücksichtigen.
Evolution oder Revolution der Führungskultur?
Wenn man sich die Historie der Führungsstile einmal anschaut, dann erkennt man, dass es nie einen kompletten Bruch mit dem alten gegeben hat, sondern eher eine evolutionäre Fortentwicklung. So sind Themen wie eine angemessene Entlohnung und eine gewisse Kontrolle auch heute noch aktuell und werden sinnvollerweise immer noch angewandt, wobei die Kontrolle der Tätigkeit eher abgelöst wurde durch die Kontrolle der Ergebnisse, verbunden mit Belohnungssystemen, aber auch mit kritischem Feed-Back. Und diese Grundprinzipien machen auch in einer modernen Führungskultur nach wie vor Sinn. Allerdings werden diese heute nicht mehr dogmatisch umgesetzt, sondern insbesondere angereichert um Elemente, die die intrinsische Motivation der Mitarbeiter steigern.
Wenn man diese Evolution dann weiterdenkt, ergibt sich von ganz automatisch für eine moderne Führungskultur, dass diese Elemente nach wie vor vorhanden sein müssen. Die Einführung einer agilen Führungsstruktur, die dies nicht berücksichtigt, ist von vornherein zum Scheitern verurteilt.
Warum brauchen wir eine moderne Führungskultur?
Neben der technologischen Entwicklung gibt es einige Einflussfaktoren, die dazu führen, dass die Mitarbeiter von heute sich oft sehr von den Mitarbeitern von früher unterscheiden. Zum einen führt die immer stärkere Automatisierung dazu, dass die Aufgaben, die von den Mitarbeitern übernommen werden, im Durchschnitt deutlich komplexer geworden sind, als noch vor 10 oder 20 Jahren. Das heißt, dass auch die Qualifikation der Mitarbeiter höher sein muss – und auch ist. Dies zeigt sich z.B. daran, dass wir heute die höchste Anzahl an Studenten in der Geschichte Deutschlands haben.
Hinzu kommt die bereits häufiger diskutierte Prägung der jüngeren Generationen („Generation Y“, „Generation Z“), die deutlich andere Prägungen mitbringen, als viele der noch heute tätigen Führungskräfte. Schlagworte wie „Wunsch nach besserer Work-Life-Balance“, „Technologie-Affinität“, aber auch „hohes Anspruchsdenken“ und „geringe psychische Belastbarkeit“ – sind immer wieder in diesem Zusammenhang zu lesen. Das sind sicherlich teilweise sehr pauschale Beurteilungen – aber es lässt sich nicht verleugnen, dass die Mitarbeiter, die in den letzten Jahren ins Berufsleben eingestiegen sind oder dies in absehbarer Zeit tun werden, andere Erwartungen mitbringen, als die große Gruppe der „Babyboomer“, die insgesamt noch sehr viel stärker hierachie- und leistungsorientiert waren.
Und genau dies muss eine moderne Führungskultur berücksichtigen.
Was braucht ein moderne Führungskultur?
Wenn man sich nun die Historie anschaut – und erkennt, dass es nicht um die Neuerfindung des Rades geht – sondern eher darum, nun einen besseren, den neuen Straßen angepassten Reifen darauf zu ziehen – dann stellt sich die Frage, um welche Elemente die moderne Führungskultur erweitert werden muss, um Unternehmen auch in der Zukunft erfolgreich am Markt bestehen zu lassen.
Und auch hierbei hilft es, sich einmal die wesentlichen Fortschritte in der Entwicklung der Führungskulturen anzuschauen:
Komplexität + Verantwortung
Die Komplexität der Aufgaben ist stetig gewachsen. Dies führt dazu, die Mitarbeiter auch immer mehr Verantwortung für ihre Tätigkeit übernehmen mussten, u.a. weil die Führungskraft selbst immer weniger fachlich auf Augenhöhe mit dem Mitarbeiter sein konnte. Dieser Effekt wird sich in Zukunft noch fortsetzen. Der Mitarbeiter wird noch stärker derjenige sein, der fachlich als einziger so tief im Thema ist, dass er Konsequenzen von wesentlichen Entscheidungen überblicken kann. Die Führungskraft wird den Mitarbeitern zwangsläufig noch mehr Verantwortung übertragen müssen und sich daher immer mehr auf die Rolle zurückziehen, ein Umfeld zu schaffen, in dem der Mitarbeiter motiviert arbeiten kann. Ein hohes Vertrauen der Führungskraft in den Mitarbeiter ergibt sich damit als notwendige Rahmenbedingung – steigert aber auch gleichzeitig die Motivation des Mitarbeiters.
Individualität
Während früher viele Mitarbeiter mehr oder weniger die gleichen Aufgaben ausführten, sind die Jobs schon heute teilweise sehr unterschiedlich. Aufgrund der noch weiter voranschreitenden Spezialisierungstendenzen wird dies noch zunehmen. Und genau dies muss eine moderne Führungskultur berücksichtigen. Die Führungskraft muss individuell bei jedem Mitarbeiter schauen, wie sie dafür sorgen kann, dass dieser maximal motiviert ist, um die bestmöglichen Ergebnisse zu erhalten. Dies wird auch von der jungen Generation immer mehr eingefordert. Um dies erfolgreich umzusetzen, müssen Führungskräften lernen, die Individualität jeden Mitarbeiters zu erkennen und zu akzeptieren. Insgesamt wird sich die Rolle der Führungskraft verändern: Weg von einer kontrollierenden Funktion, hin zu einer coachenden und unterstützenden Funktion. Dies wird nur gelingen, wenn die Führungskräfte mehr und mehr auch ein Know-how im psychologisch-zwischenmenschlichen Bereich aufbauen.
Wertschätzende Führung als moderne Führungskultur
Die Wertschätzende Führung berücksichtigt genau diese Erkenntnisse. Sie baut auf den vorangegangen Führungsmodellen – insbesondere der transformationalen Führung – auf und ergänzt diese noch um weitere Elemente. Die vier Grundpfeiler der wertschätzenden Führung sind dabei:
Vorbildfunktion der Führungskraft
Mitarbeiter orientieren sich viel mehr an dem vorgelebten Verhalten der Führungskraft, als an dem, was diese sagt. Daher ist es für Führungskräfte wichtig, sich selbst gut zu verstehen und vor allem zu lernen, sich mit all ihren Stärken und Schwächen anzunehmen und auch Verantwortung für ihr eigenes Gefühlsleben zu übernehmen. Aus dieser Akzeptanz heraus wächst nicht nur eine größere innere Gelassenheit, sondern es gelingt dann auch viel leichter, wirklich authentisch aufzutreten und als positives Vorbild für die Mitarbeiter zu wirken. Durch das Erkennen der eigenen Muster und Prägungen, und der damit verbundenen Anerkennung der eigenen Individualität, entsteht eine größere Akzeptanz für die unterschiedlichen Charaktere der Mitarbeiter.
Einen ausführlicheren Artikel zur Vorbildfunktion finden Sie hier: Das oft unterschätzte Element einer guten Führungskultur: Wie Sie die Vorbildfunktion der Führungskraft nutzen
Individuelle Unterstützung der Mitarbeiter
Aufgrund ihrer Anlagen und Prägungen sind alle Menschen individuell unterschiedlich. Und wir alle wünschen uns, in unserer eigenen Individualität anerkannt zu werden. Wenn Führungskräfte in der Lage sind, die individuellen Muster ihrer Mitarbeiter zu erkennen, dann gelingt es viel besser, diese entsprechend ihrer Stärken einzusetzen und zu fördern.
Verantwortung für gelungene Kommunikation
Führung besteht zum überwiegenden Teil aus Kommunikation. Durch gelungene, adressatengerechte Kommunikation gelingt es uns, potenzielle Konflikte zu entschärfen und Missverständnisse zu vermeiden. In einer Kommunikation zwischen Führungskraft und Mitarbeiter liegt es ganz natürlich im Interesse der Führungskraft, dass es gelingt, die gewünschte Nachricht so gut wie möglich zu transportieren. Übernimmt die Führungskraft dementsprechend die Verantwortung für eine adressaten- und situationsgerechte Kommunikation, so erhöht sie damit die Wahrscheinlichkeit, die gewünschten Ziele zu erreichen.
Motivation
Um motiviert die Ziele des Unternehmens zu unterstützen, möchten Mitarbeiter zu allererst von ihrer Führungskraft als individuelle Person wahrgenommen und wertgeschätzt werden. Darüber hinaus fördert die Übertragung von Verantwortung und die damit verbundene intellektuelle Anregung enorm die Leistungsbereitschaft. Die Etablierung eines Klimas des Vertrauens, das auf einer positiven Fehlerkultur aufbaut, und das Vorhandensein gemeinsamer Zielen bzw. einer Vision unterstützen dies noch einmal wesentlich.
Und dann?
Erst wenn diese Grundelemente in einem Unternehmen verankert sind, macht es Sinn sich Gedanken über weitergehende Elemente, wie z.B. agile Führung zu machen. Dies wären dann – um im Bild des Rades zu bleiben – die Schneeketten für die Fahrt im Schnee. Aber ohne einen stabilen Reifen als Grundlage sollte man keine Schneeketten montieren!
Kommentare